Die Worte „Vergewaltigung“ und „sexueller Missbrauch“ werden in der Alltagssprache oft gleichbedeutend verwendet. Das ist sowohl sprachlich problematisch und ungenau, als auch rechtlich gesehen nicht korrekt. Vergewaltigung und auch sexueller Missbrauch von Kindern – genauer „sexualisierte Gewalt gegen Kinder“ – sind schwere Gewalthandlungen, die gesetzlich verboten sind. Sie sind als „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ unter Strafe gestellt.
Das Strafrecht unterscheidet zwischen beiden Gewalthandlungen. Als „sexuellen Missbrauch“ nach §176 StGB stuft das Gesetz alle sexuellen Handlungen einschließlich Vergewaltigung ein, die an einem Kind unter 14 Jahren von einem Jugendlichen ab 14 Jahren oder einer erwachsenen Person begangen werden. Dabei muss die Person, die dem Kind diese Handlungen antut, keine Gewalt anwenden oder androhen.
Der §177 StGB „Vergewaltigung, sexuelle Nötigung“ wird erst bei betroffenen Personen über 14 Jahren herangezogen. Nach dem StGB liegt eine „Vergewaltigung“ vor, wenn jemand eine Person zu einer sexuellen Handlung zwingt und mit einem Körperteil oder einem Gegenstrand in eine Körperöffnung dieser Person eindringt und dabei Gewalt anwendet, gefährliche Drohungen ausspricht oder eine hilflose Lage ausnutzt. Seit der Strafrechtsreform vom 10.11.2016 ist ein sexueller Übergriff strafbar, wenn er gegen den erkennbaren Willen einer Person ausgeführt wird. Seit dieser Neuerung – die unter der Kurzformel „Nein heißt Nein“ bekannt wurde – stehen alle nicht-einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe. Das neue Strafrecht wird bei Taten angewendet, die seit dem 10.11.2016 verübt wurden. Für alle zuvor verübten Taten gilt der alte Strafrechtsparagraph.
Neu seit der Strafrechtsreform vom 10.11.2016 ist auch die Verortung aller Tathandlungen des sexuellen Übergriffs auf Menschen mit und ohne Behinderung in dem neu geschaffenen §177 StGB. Dies führte zur Abschaffung des §179, in welchem zuvor ‚sexueller Missbrauch Widerstandsunfähiger‘ geregelt wurde. Damit wird der Kritik Folge geleistet, dass Menschen mit Behinderung nicht gänzlich als widerstandslos eingeordnet werden können und dürfen!
Durch die Erweiterung des Begriffs ‚Vergewaltigung‘ werden seit 2016 mehr Tathandlungen erfasst, die zuvor als Nötigung eingestuft wurden. Nun ist das Ausnutzen der Unfähigkeit zum Widerstand oder das überraschende Vornehmen sexueller Handlungen an einem Opfer im §177, Absatz 2 berücksichtigt. Das Berücksichtigen neuer Straftatbestände, vor allem in welchen besonderen Umständen zur Ausführung sexualisierter Gewalt ausgenutzt werden, führte zu einer Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung und schützt Frauen* – und Männer – besser als vor der Strafrechtsreform.
Sexuelle Übergriffe/Belästigungen, die vor der Reform als „nicht erheblich“ eingestuft wurden und lediglich als Beleidigungen zur Anzeige gebracht werden konnten, sind nun unter dem §184i als Antragsdelikt strafrechtlich zu verfolgen.
Sexualisierte Gewalt und Übergriffe in manchen Abhängigkeitsbeziehungen – z.B. in Behandlungs- und Betreuungskontexten – werden im Strafgesetzbuch ebenfalls als „Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses“ aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit bezeichnet und gesondert im §174c behandelt.
Sexueller Missbrauch gegen Kinder und Vergewaltigung sind sog. Offizialdelikte. Das bedeutet, dass eine einmal erstattete Strafanzeige nicht zurückgenommen werden kann. Die Strafverfolgungsbehörden müssen ermitteln, nachdem sie Kenntnis von einer solchen Tat erlangt haben. Andere Sexualstraftaten sind z.T. sog. Antragsdelikte, d.h. sie werden nur auf Antrag verfolgt und haben i.d.R. eine kürzere Verjährungsfrist.
Alle Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung finden sich im StGB in den §§ 174-184. Wenn Sie überlegen Strafanzeige zu erstatten oder bereits erstattet haben, ist eine anwaltliche Beratung und Vertretung sinnvoll.
Die Mitarbeiterinnen des FRAUEN NOTRUF können Ihnen weitere Informationen vermitteln und Sie dabei unterstützen, Ihre Entscheidung für oder gegen eine Strafanzeige zu treffen. Sie können Ihnen helfen, einen erfahrenen Rechtsbeistand zu finden. Es gibt auch die Möglichkeit, dass Sie im Rahmen einer Psychosozialen Prozessbegleitung vom FRAUEN NOTRUF begleitet werden.
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